KRISTINA FIAND

Es gibt Dinge, die liebt man einfach. Man schaut sie an, und sie treffen voll ins Herz. Dieses Phänomen gibt es auch in der Kunst – und geschehen ist es beispielsweise beim ersten Kontakt mit den Edekafrauen von Kristina Fiand, viele viele Jahre her.

Damals waren sie noch nicht so ausgefeilt, detailliert, eher archetypisch und rough gearbeitet. Die Augen wie zwei Knöpflein, die Gesichtsflächen recht glatt und undifferenziert, aber bereits so, dass man sie sofort ins Herz (die Kraft der zwei Herzen!) schließen musste. Dazu diese tolle Geschichte:

Das Dorf im Knüll, in dem die Künstlerin Kristina Fiand zusammen mit ihrem Mann, dem Bildhauer Ernst Groß, lebt, hatte, als sie mit der Bildhauerei begann, noch einen blaugelben Edeka. Wie schön (… und inzwischen gar nicht mehr selbstverständlich). Er ist Austauschort dörflicher Kommunikation, Ziel der Kinder für ein sommerliches Eis, aber auch „erste Hilfe“ – Anlaufplatz, wenn das Backpulver für den Kuchen aus ist, die örtliche Zeitung zudem, denn man erfährt, wer nächtens gestorben ist, entbunden hat. Auch von den Eheproblemen der Familie Meyer weiß man zu berichten.

Die Frauen mit ihren unterschiedlichen Outfits, Frisuren und Gesichtsausdrücken haben die Künstlerin Kristina Fiand zutiefst gereizt, genauer hinzusehen. Kein Voyeurismus, vielmehr die Symbiose aus Lust am Unterschied und der Gemeinsamkeit ließ das Projekt „100 Edekafrauen“ entstehen. Mit klassischen Bildhauerwerkzeugen bearbeitet Kristina Fiand das Lindenholz, schließt natürliche „Hindernisse“ wie Äste und Risse mit ein und gibt jeder einzelnen Figur ein unverwechselbares Kolorit. Jede ein Unikat, mit eigenem Charakter. Die Zahl Hundert war schnell erreicht, aber der dörfliche Fundus, der an eine Theaterbühne erinnern mag, noch lange nicht erschöpft.

Und darin liegt wohl der große Erfolg der Damen, die nun die Marke der 700 überschritten haben. In der Begrenzung auf einen Lindenblock, zwei Beine, die diesem Sockel fußlos erwachsen, zelebriert Fiand nicht endlos einen Stereotyp, wandelt vielmehr mit grenzenloser Phantasie, mit glucksender Freude an Formen, Farben, Details und Accessoires an fünfzig Höhenzentimetern Holz ein Thema immer wieder mit größter bildhauerischer Lust so ab, dass es nie spröde, nie langweilig wird. Dabei glänzt sie mit Zitaten in der reichen Welt der Werbung, des Productplacements, der Symbole, Piktogramme oder der Vielfalt von Werbelogos. Das Salz in der künstlerischen Finessesuppe Fiands – und dafür liebe ich diese hölzernen Unlebewesen besonders – ist die Ausgereiftheit der Gesichter. Mimik schlägt Gestik, die zwar auch besticht, bei weitem, und es ist die blanke Freude, so einer Gruppe „Edekas“ ins Antlitz (und anders kann man das zwischenzeitlich gar nicht nennen) zu sehen. Mit wenigen, dann wieder vielen Schnitten in die weiche Linde haucht Fiand ihren Damen Authentizität ein, so, als sollten sie – pinocchiogleich – zum Leben erwachen und losstapfen, wären sie nicht mit diesem vermaledeiten Holzblock verwachsen. Die Protagonistinnen des dörflichen Einkaufseldorados schmollen, lächeln, verführen, platzen vor Wut, sind in sich gekehrt, kaufsüchtig, realistisch, sehr realistisch, lebensfroh hie und -müde dort, sie sind voller Energie und erschöpft am Ende der Gruppe. Nix, was es nicht gäbe. Fast stadtgleich. Und das alles durch die Macht Fiands, unterschiedlich zu schöpfen – in diesem Fall mit dem Schnitzmesser Leben zu verteilen, ebenso unterschiedlich, wie wir als Menschen sind. Ein Schema, das nie schematisch ist, das die Künstlerin so liebevoll abarbeitet, dass es nie  Schwere transportiert, sondern die Leichtigkeit und Freude, die die Künstlerin vom ersten Blick auf den Laden bis zur letzten Schnitzbewegung und der „Schlussfirnis“ beim Schminken der kleinen Kostbarkeit hinüberrettet.

Bei all den hunderten „Edekas“ sind es  – neben den abweichenden Figuren wie dem Kind, das die Tüte behütet, dem Berner Sennenhund, der Dame im Rollstuhl oder der Älteren in Schwälmer Tracht (ganz im Stilbruch mit der Adidas-Tüte) – gerade die „normalen“ Frauen, die in ihrer Schlichtheit, die aber dennoch so individuell ist, unser Herz zu öffnen vermögen. Denn sie schaffen auch Platz für Assoziationen:  „Schau mal, die sieht aus wie Tante Erna“ oder „Die guckt wie Oma“! Lachen und Freude darf Kunst zuweilen auch schenken. Hier gibt es immer etwas Neues zu entdecken, zu staunen. So ist das Projekt „100 Edekafrauen“, das jetzt nur noch „Edekafrauen“ heißt, zu einem großen Erfolg geworden: Alle bisher gezeigten, so liebenswerten Skulpturen haben ein neues Zuhause, fernab vom Edeka und Atelier, gefunden. Die, die Sie hier sehen, sind nur kurz zu haben, dann sind sie verschwunden. Verstehen kann man“s!

(Text frei nach: Michael Marius Marks)

Nach rund zehn Jahren ist die Bildhauerin Kristina Fiand dann zu einer Reise aufge-brochen, weil sie wissen wollte, wie es ihren Edekafrauen geht. Die Holzfiguren bestimmen seit mehr als zehn Jahren das Leben der Künstlerin und ihrer Familie. Mit dem Buch wollte sie sich die Bedeutung eines wesentlichen Teils ihres künstlerischen Lebenswerks wieder vor Augen führen.
Sie hat Sammler und Kau eute in ganz Deutschland besucht, um mit ihnen über die Figuren und das Phänomen EDEKA zu sprechen. Dabei waren die Gespräche nicht planbar und statt über ihre Figuren sprachen manche ihrer Gesprächspartner lieber über ihr Leben und damit vielleicht auf den ersten Blick am Thema vorbei. Tatsächlich aber ist die Intimität der Interviews und Beobachtungen unverhofft zu einer zentralen Stärke des Buchs geworden, die direkt mit Fiands Skulpturen zusammenhängt.

Bis heute, im Jahr 2025, ist die Zahl der von Kristina Fiand geschnitzten Edekafrauen auf 1680 gestiegen. Und gottseidank hat sie noch immer genug Ideen, um neue Edekafrauen zu „gebären“…wir sind gespannt und freuen uns auf alle Edekafrauen, die da kommen werden.

STATIONEN

1964
geboren in Hamburg

1984-89
Studium an der Gh Kassel für Lehramt Kunst und Polytechnik,
Produktdesign und Freie Kunst

Seit 1990
freuschaffende Künstlerin